Arbeitstreffen im Museum, © Maria Herzog
Wie Goldfunde aus der Wikingerzeit Geschichte und Gegenwart verbinden
Gold glänzt – und polarisiert. Seit über 200 Jahren werden wikingerzeitliche Goldschätze nicht nur gesammelt und erforscht, sondern immer wieder politisch gedeutet. An der Universität Greifswald geht eine Wanderausstellung und digitale Ausstellung genau diesen Spuren nach: „Wikingergold. Schatzpolitik seit 1800“, entwickelt vom Interdisziplinären Forschungszentrum Ostseeraum (IFZO) gemeinsam mit dem Stralsund Museum, zeigt vom 9. Oktober 2025 bis 11. Januar 2026 im Pommerschen Landesmuseum, wie umkämpft Kulturerbe sein kann – damals wie heute.
Kulturerbe ist nicht neutral
Die Ausstellung macht deutlich, dass Kulturerbe kein neutrales Gut ist. Die Goldschätze stammen aus der Wikingerzeit zwischen etwa 800 und 1100. Ihre heutige Bedeutung aber entstand erst ab dem 19. Jahrhundert, mit Entdeckung, Katalogisierung und musealer Präsentation. Seither wurden sie immer wieder neu interpretiert, als regionales Erbe, als nationales Symbol oder als Teil einer europäischen Geschichte.
Kuratorin Prof. Dr. Isabelle Dolezalek erläutert, dass schon kleine Änderungen in der Präsentation eine politische Wirkung haben können: Besucher*innen könnten ein Objekt in einer Vitrine über Jahre hinweg immer anders sehen, sagt sie, je nachdem, welches Label es trägt. „Erst galt es als skandinavischer Goldschmuck, dann zum Beispiel als Zeichen nationalsozialistischer Propaganda, oder als Kulturerbe der DDR. Das sind alles politische Aussagen, die etwas mit der Aneignung von diesem Kulturerbe zu tun haben. Und mit der Frage, wer sich damit identifiziert oder wer sich davon abgrenzt.“
Digital, interaktiv, vielfältig
Die digitale Ausstellung setzt auf verschiedene Formate, um Besucher*innen aktiv einzubeziehen: Texte, Bilder, Film, Zeitstrahl oder Flowchart laden dazu ein, selbst Entscheidungen zu treffen, etwa zum Thema Erben und Eigentum von Kulturgütern. Wie Dolezalek erklärt, war es der Mitkuratorin Charlotte Wenke und ihr besonders wichtig, das Format abwechslungsreich zu gestalten: „Die Ausstellung ist möglichst vielfältig aufgebaut in den einzelnen Kapiteln, damit es nicht langweilig wird.“
Auch die aktuelle politische Relevanz wird thematisiert. Dolezalek weist auf rechte und extrem rechte Aneignungen von wikingerzeitlicher Symbolik hin, etwa auf T-Shirts oder Modeschmuck: „Das spielt eine große Rolle in der Ausstellung. Mit dieser Aneignung beruft man sich auf ein vermeintlich homogen „weißes“ Erbe. Aber auch das skandinavische Mittelalter war nicht homogen, sondern geprägt durch Austausch und Migrationsgeschichten.“








Die Goldschätze im Fokus
Zwei Funde stehen exemplarisch: der Hiddenseer Goldschmuck und der Hoenschatz aus Norwegen. Der Hiddenseer Fund besteht aus 16 einheitlich gearbeiteten Schmuckstücken von herausragender Qualität, vermutlich getragen von Frauen im Umfeld des dänischen Königshofs im 10. Jahrhundert. Der Hoenschatz dagegen umfasst über 200 Einzelteile, darunter Münzen aus dem islamischen Raum und byzantinische Glasperlen, und dokumentiert die weitreichenden Handels- und Machtverflechtungen skandinavischer Eliten im 9. Jahrhundert.
Gold spielte im wikingerzeitlichen Ostseeraum eine besondere Rolle: Während Silber als Zahlungsmittel weit verbreitet war, war Gold selten und den höchsten gesellschaftlichen Schichten vorbehalten. Besitz und Zurschaustellen von Goldschmuck zeigten Macht und Status. Die archäologischen Funde legen zudem nahe, dass Frauen eine zentrale Rolle in dieser Form von „Schatzpolitik“ innehatten. Sie trugen repräsentativen Schmuck und festigten diplomatische Verbindungen, zum Beispiel durch Eheschließungen.
Deutungen über die Jahrhunderte
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Goldschätze erneut neu interpretiert, etwa als Symbole internationaler Freundschaft oder Zeugnisse vormoderner Globalisierung. Die Ausstellung zeigt, dass auch heute noch unterschiedliche Aneignungen existieren: Nachbildungen von Wikingerschmuck sind in Museumsshops, auf Mittelaltermärkten und im Internet präsent, zugleich werden Symbole aus der Wikingerzeit von rechten und extrem rechten Gruppen vereinnahmt.
Einladung zur Reflexion
Die Ausstellung will keine abschließende Deutung liefern, sondern Besucher*innen zum Nachdenken einladen. Sie macht sichtbar, wie eng unsere Wahrnehmung der Vergangenheit von der Gegenwart geprägt ist und wie Wissenschaft, Politik und gesellschaftliche Identität miteinander verflochten sind. Wer sich mit den Goldschätzen der Wikinger beschäftigt, lernt so auch viel über die Gegenwart.
Titel: Wikingergold. Schatzpolitik seit 1800
Format: Digitale Wanderausstellung mit interaktiven Elementen
Laufzeit: 9. Oktober 2025 – 11. Januar 2026
Kuratorinnen: Isabelle Dolezalek & Charlotte Wenke (TU Berlin / Universität Greifswald)
Projekt: Forschungsverbund „Fragmentierte Transformationen“
Themen:
- Wikingergold als nationales und regionales Kulturerbe
- Gold, Macht und globale Verflechtungen
- Mittelalterliche Deutungen und heutige Aneignungen
- Politische Instrumentalisierung von Kulturerbe
Anne Junia Ziemann, 19.12.2025
