
Öltanker. © adobe Yaroslav
Rechte der Küstenstaaten sind begrenzt
Der Konflikt um Russlands Schattenflotte spitzt sich immer mehr zu. EU-Küstenstaaten gehen mittlerweile stringenter gegen verdächtige Öltanker vor. Welche Maßnahmen das internationale Seerecht zulässt, ist umstritten.
Nach einem Totalausfall an Bord des Tankers “Eventin” im Januar trieb dieser stundenlang manövrierunfähig vor Rügen. Derartige Vorfälle können bei einer Kollision zu einer ökologischen Katastrophe führen – die „Eventin” war zu dem Zeitpunkt mit 99.000 Tonnen Rohöl beladen.
Das Havariekommando sicherte den Tanker, der anschließend wochenlang vor dem Hafen von Sassnitz festgehalten wurde. Anfänglich schienen die deutschen Behörden noch zögerlich, was mit dem Schiff, das unter panamaischer Flagge fuhr und der russischen Schattenflotte zugerechnet wird, passieren sollte. Dann im März die Meldung: Der Zoll beschlagnahmt das Schiff inklusive Ladung.
Das Vorgehen der deutschen Behörden ist beispielhaft für eine neue, verschärfte Tonart der EU gegenüber der Schattenflotte. Letztere wird nicht nur mit der Umgehung des Öl-Embargos gegen Russland, sondern auch mit Spionage und der Beschädigung von Unterseekabeln in Verbindung gebracht. So setzten finnische Behörden im Dezember 2024 die “Eagle S” fest, nachdem diese angeblich durch einen schleifenden Anker ein Stromkabel der EstLink 2 Pipeline beschädigt hatte. Das Schiff wurde zwischenzeitlich wieder freigegeben. Es laufen jedoch strafrechtliche Ermittlungen gegen mehrere Crewmitglieder.
Im Mai versuchte das estnische Militär, den illegal ohne Flagge fahrenden Öltanker “Jaguar” zu stoppen. Daraufhin soll Putin sogar einen Kampfjet in den estnischen Luftraum entsandt haben, um das Schiff zu verteidigen. Russland identifiziert sich nunmehr auch offiziell mit der Schattenflotte und scheint bereit, diese mit militärischen Mitteln zu schützen.
Schattenflotte zur Umgehung des Öl-Embargos
Denn Putin nutzt die Flotte zur Umgehung von Sanktionen. Bereits infolge der Annexion der Krim im Jahr 2014 verhängte die EU Sanktionsmaßnahmen gegen russische Einzelpersonen und Unternehmen. Zudem wurde durch die Verordnung (EU) 833/2014 die Ausfuhr bestimmter Güter und Technologien, die in der Rüstungs- und Ölindustrie eingesetzt werden können, untersagt.
Seit dem völkerrechtwidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine hat die EU ihre Sanktionen stetig ausgeweitet. Um die russischen Einnahmen aus dem Ölhandel zu beschneiden, verhängten die EU und andere westliche Staaten im Dezember 2022 eine Preisobergrenze von 60 US-Dollar für russisches Öl.
Jedoch kann die EU Drittstaaten nicht vorschreiben, zu welchen Bedingungen sie mit Russland Handel treiben. Was bedeutet das Embargo also genau, und wer ist an die Preisgrenze gebunden?
Zunächst einmal ist die Einfuhr von sanktioniertem russischem Öl in das Zollgebiet der EU verboten. Das umfasst auch den Transport von Öl durch die EU. Zudem ist es in der EU ansässigen Firmen untersagt, Geschäfte zu tätigen, die sanktioniertes Öl involvieren. Sie dürfen etwa für Schiffe, die sanktioniertes Öl befördern, keine Dienstleistungen erbringen oder deren Ware versichern.
Tanker stellen erhebliches Sicherheitsrisiko dar
Vor diesem Hintergrund ist Putin gezwungen, für den Ölhandel auf Schiffe zurückzugreifen, die keine Verbindungen zur EU und anderen westlichen Staaten mit vergleichbaren Sanktionsregimen haben. Es handelt sich dabei zum Großteil um Tanker, die mit einem Alter von 15 Jahren oder mehr normalerweise bereits ausgemustert wären und aktuelle Sicherheits- und Umweltstandards nicht mehr erfüllen.
Zudem führen Schiffe der Schattenflotte hochriskante Tätigkeiten wie Öltransfers auf See durch, schalten sogar ihre Transponder aus, um unerkannt zu bleiben. Bei alldem verfügen sie oft nicht über die rechtlich vorgeschriebene Ölunfallversicherung.
Die EU nimmt vermehrt auch Schattenflottenschiffe selbst auf die Sanktionsliste auf. Seit der letzten Änderung der Verordnung (EU) 833/2014 im Mai sind nunmehr über 300 Schiffe gelistet, die infolgedessen einem Hafenverbot unterliegen und mit denen in der EU ansässige Firmen keine Geschäfte tätigen dürfen, unabhängig davon, ob sie sanktioniertes Öl transportieren.
Eingriffsbefugnisse aufgrund internationalen Seerechts
Trotz der massiven Sicherheits- und Umweltrisiken hat die EU im Grundsatz kein Zugriffsrecht auf unter fremder Flagge fahrende Schiffe, wenn sie insbesondere die Ostsee passieren. Eines der Grundprinzipien des gewohnheitsrechtlich wie eine Verfassung geltenden UN-Seerechtsübereinkommens (SRÜ) ist die Freiheit der friedlichen Durchfahrt von Schiffen auf Meeren und Ozeanen.
Die Regelung und Kontrolle von Schiffen obliegt primär dem Flaggenstaat, in welchem das Schiff registriert ist. Der Flaggenstaat hat die Pflicht, für die Sicherheit, ordnungsgemäße Ausstattung, Versicherung etc. von unter seiner Flagge fahrenden Schiffen zu sorgen. Leider kommen einige Billigflaggenstaaten dem nur ungenügend nach.
Daneben kommt Hafenstaaten eine wichtige Rolle zu. Stellt ein Staat fest, dass ein in seinem Hafen befindliches Schiff Sicherheitsmängel aufweist oder über eine unzureichende Versicherung verfügt, darf er das Schiff festhalten. Dazu kommt es jedoch selten, da die Schattenflotte europäische Häfen nicht freiwillig anläuft.
Unsicherheit bei nur abstrakter Gefahr für die Umwelt
Im Übrigen haben Küstenstaaten nur beschränkte Rechte, Schiffe auf dem Meer zu kontrollieren, ihnen die Durchfahrt zu verweigern oder andere Maßnahmen zu ergreifen. Die Rechte der Küstenstaaten hängen davon ab, welcher Region der Meere das Schiff durchfährt. Das SRÜ teilt das Meer in Zonen auf:
Ein Küstenstaat kann bis zu zwölf Seemeilen jenseits seiner Küstenlinie sein Hoheitsgebiet ausdehnen und als sein Küstenmeer proklamieren. Dort übt der Küstenstaat grundsätzlich Hoheitsgewalt aus, wobei er jedoch die friedliche Durchfahrt anderer Schiffe gewährleisten muss. Hier bestehen bereits rechtliche Unklarheiten: Eine Durchfahrt ist unstreitig unfriedlich und der Küstenstaat kann eine solche demnach verhindern, wenn ein Schiff Seekabel beschädigt oder Spionage beitreibt. Aber was, wenn ein Schiff aufgrund seines schlechten Zustands nur abstrakt die Umwelt gefährdet?
In Bezug auf das EU-Embargo stellt sich zudem die Frage, ob ein Küstenstaat die Durchfahrt eines Schiffes durch das Küstenmeer untersagen darf, auch wenn nicht beabsichtigt ist, das sanktionierte Öl in der EU bzw. in einem EU-Hafen zu entladen. Und was gilt, wenn ein Schiff gar nicht freiwillig in das Küstenmeer gefahren ist, sondern wie die “Eventin” infolge einer Havarie dorthin geschleppt wurde? Kann dann überhaupt von einem “Verbringen” sanktionierter Ware in das Zollgebiet der EU die Rede sein?
All diese Fragen sind rechtlich bisher nicht eindeutig geklärt. Artikel 19 SRÜ “Bedeutung der friedlichen Durchfahrt” sieht nach seinem Wortlaut kaum Möglichkeiten für ein präsentives, gefahrenvorsorgendes Einschreiten des Küstenstaates vor. Das Vorgehen der deutschen Behörden bewegt sich daher im Graubereich des internationalen Seerechts.
Kaum Zugriff bei Straftaten in der ausschließlichen Wirtschaftszone
Jenseits des Küstenmeeres kann ein Küstenstaat eine Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) bis zu einer Breite von 200 Seemeilen (vorbehaltlich der Regelungen zum Festlandsockel) proklamieren. In der AWZ hat der Küstenstaat bestimmte Hoheitsrechte, etwa zur Erzeugung von Windenergie oder Fischfang.
Durch die AWZ dürfen fremde Schiffe nicht nur durchfahren, sondern dort auch ankern und grundsätzlich auch Schiff-zu-Schiff Öltransfers durchführen. Letztere unterliegen einem strengen Sicherheitsprotokoll und müssen dem Küstenstaat zuvor angemeldet werden. Jedoch darf im Fall eines Verstoßes der Küstenstaat das Schiff weder betreten noch festsetzen. Er kann lediglich den Flaggenstaat informieren. Die EU greift daher darauf zurück, solche Schiffe mit einem Hafenverbot zu belegen.
Werden in der AWZ Straftaten begangen, darf der Küstenstaat nur in eng begrenzten Fällen, etwa bei illegalem Dumping, Strafgerichtsbarkeit ausüben. Spionage oder die Zerstörung von Unterseekabeln fallen nicht darunter, was die Zulässigkeit des finnischen Vorgehens gegen die Crew der “Eagle S” fragwürdig macht.
Während der Konflikt um die Schattenflotte sich politisch zuspitzt, beschäftigt er immer mehr auch die Gerichte. Gegen die Beschlagnahme und Einziehung der “Eventin” wurde bereits Klage erhoben. Auch in Finnland läuft ein Klageverfahren gegen das Festsetzen der “Eagle S”.
Weitere Möglichkeiten der EU
Sollten die Gerichte das Vorgehen der deutschen und finnischen Behörden als völkerrechtswidrig einordnen, stellt sich die Frage, welche weiteren Möglichkeiten die EU hat, gegen die Schattenflotte vorzugehen.
Die Stärke des internationalen Seerechts – die nahezu globale Ratifikation des SRÜ und dessen Anerkennung als Völkergewohnheitsrecht – ist zugleich seine Schwäche. Eine formale Änderung des Übereinkommens würde möglicherweise eine nicht bezweckte Reformdiskussion auslösen.
Diskussionswürdig ist indes, ggf. mittels einer gesonderten Vereinbarung, klarzustellen, dass das SRÜ auch Gefahrenvorsorgemaßnahmen des Küstenstaats erlaubt, um einer Beeinträchtigung der Ordnung oder Sicherheit des Küstenstaats im Sinne des Art. 19 SRÜ vorzubeugen. Auch ein verstärkter politischer Druck auf Flaggenstaaten könnte zielführend sein, damit diese ihre Kontroll- und Überwachungspflichten gewissenhafter wahrnehmen. Diskutiert werden auf EU-Ebene zudem Sekundärsanktionen gegen Drittstaaten, die sanktioniertes russisches Öl ankaufen.

Prof. Dr. Sabine Schlacke ist Professorin für Öffentliches Recht, insb. Verwaltungs- und Umweltrecht, sowie Direktorin des Instituts für Energie-, Umwelt- und Seerecht (IfEUS) der Universität Greifswald.
Autorin: Sabine Schlacke. Dieser Artikel erschien zuerst auf LTO.