Foto: Gina Heitmann
Stefanie Averbeck-Lietz ist seit April 2023 Professorin für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Kommunikationsethik am Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Greifswald. Zwischen 2012 und 2023 versah sie eine Professur mit dem Schwerpunkt Medienwandel an der Universität Bremen. Zuvor war sie als Hochschuldozentin für Theorie und Soziologie der öffentlichen Kommunikation/Medienethik am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig tätig und übernahm Vertretungs- und Gastprofessuren in Zürich, Münster und Paris.
Sie promovierte nach einem Studium der Publizistikwissenschaft, Romanistik und Politologie im Jahr 2000 an der Universität Münster mit einer Arbeit zur Weimarer Zeitungswissenschaft und habilitierte 2008 an der Universität Leipzig mit einer Studie über französische Kommunikationstheorien. Sie hat Lehraufträge an der Bauhaus Universität Weimar, den Universitäten Zürich und Fribourg/CH versehen. Als Postdoc des DAAD forschte sie 1999 am Institut Français de Presse. In den 1990er Jahren war sie als freie Mitarbeiterin u.a. bei Radio NRW, beim Westdeutschen Rundfunk und als Trainee in einer PR Agentur tätig. Gemeinsam mit Leen d’Haenens (KU Leuven) gibt sie seit 2016 Communications. The European Journal of Communication Research (de Gruyter) heraus.
Warum haben Sie sich für Ihr Fachgebiet entschieden? Bzw., wie sind Sie zu Ihrem aktuellen Forschungsschwerpunkt gekommen?
Ich bin ja schon etwas länger dabei und dies ist meine zweite Professur. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich mich „entschieden“ habe, meine drei Studienschwerpunkte aus dem Magisterstudiengang an der Universität Münster, Publizistikwissenschaft, Politikwissenschaft und Romanistik (eine damals mit 19 Jahren recht intuitive Wahl, ich wollte Journalistin werden und war das zeitweilig auch), begleiten mich bis heute. Nur dass ich sie heute alle zusammengeführt habe. Dies spiegelt sich in der Frage danach, wie Kommunikation und Öffentlichkeit in unseren Gesellschaften beschaffen sind, wie sie sich entwickelt haben und dies unter deutsch-französischen Perspektiven.
Ich habe bei Prof. Arnulf Kutsch in Münster studiert und auch später mit ihm an der Universität Leipzig zusammengearbeitet, das heißt, ich habe im Fach zunächst bewusst einen kommunikationshistorischen Schwerpunkt gewählt. Meine Dissertation habe ich über die Zeitungswissenschaft der Weimarer Republik und deren Selbstgleichschaltung mit dem Nationalsozialismus nach 1933 geschrieben. Da stößt man recht schnell auf ethische Fragestellungen, nicht nur solchen danach, wie eine demokratische Öffentlichkeit beschaffen sein sollte und wie man sie schützt.
Kommunikationsethik, der Schwerpunkt, den ich in Greifswald vertrete, befasst sich nicht nur mit öffentlicher Kommunikation, Medien und deren normativen Problematiken, sondern auch mit zwischenmenschlicher Kommunikation. Beides kommt ja heute spezifisch zusammen: Auf Social Media können wir sowohl interpersonal vernetzt als auch öffentlich sichtbar kommunizieren. Kommunikationsethik oder die Gütekriterien von Kommunikation wie Respekt oder Wahrhaftigkeit gehen uns somit alle an.
Was fasziniert Sie an Ihrem Fachgebiet besonders?
Die soziale und die technologische Welt ändern sich schnell und in Bezug aufeinander. Welche kommunikationsethischen Fragen etwa müssen wir uns stellen, wenn wir es mit KI zu tun haben und zwar in Prozessen der Herstellung, der Verbreitung und der Rezeption von Kommunikaten? Nicht nur Text, auch Stimme und Bild können KI-Bearbeitung unterliegen. Wie und warum wird KI eingesetzt? Wie und warum soll sie reguliert werden? Hier trifft sich das Fach mit Fragestellungen anderer Fächer: Wir brauchen die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Politikwissenschaft, der Philosophie, der Soziologie, der Pädagogik und der Informatik. Bereichernd ist hier auch der internationale Austausch, der zu einer Vielfalt der Perspektiven führt.
Persönlich fasziniert bin ich immer wieder von Archivarbeit: Für ein Projekt mit den Bremer Kollegen Erik Koenen und Arne Gellrich habe ich die einhundert Jahre alten Akten der Informationsabteilung des Völkerbundes ausgewertet. Das waren unglaubliche Funde mit Überlegungen zur „öffentlichen Diplomatie“ jenseits von Geheimdiplomatie, zur strategischen Kommunikation mit der Weltpresse, zu Leaking und der ganz generellen Frage, wie eine transnationale Organisation überhaupt eine Kommunikationsabteilung aufbauen kann. Regeln für die interne Kommunikation der Organisation mussten erst einmal gefunden werden. Dies hat später auch den Aufbau der Kommunikationsabteilung der UN beeinflusst.
Mit welchen Herausforderungen sind oder waren Sie in Ihrer akademischen Karriere konfrontiert, und wie haben Sie diese gemeistert?
Die üblichen Hürden sind ja aus der Wissenschaftsforschung bekannt: Gender, unplanbare Karrieren, Zeitverträge in der Familiengründungsphase, öfter mal das Vertragsende vor Augen und das Baby dabei auf dem Arm, während die Habilitationsschrift am Rechner wartet – und ebenfalls die nächste Bewerbung an die nächste Universität. Es kommt einem in diesen Phasen oft wie ein persönliches Schicksal vor, aber das ist es nicht, es sind strukturelle Härten, die für die jüngeren Kolleg*innen leider nicht besser geworden sind. Ich verweise auf die jüngsten Diskussionen und Aktivitäten unter #IchbinHanna und #ProfsfuerHanna. Allerdings gibt es heute mehr Professorinnen an den Universitäten – in meinem Fach der Kommunikationswissenschaft hatte ich als Studentin kein einziges weibliches Vorbild in der Professorenschaft und noch in den 2000er Jahren in Leipzig keine einzige weibliche Kollegin mit einer Professur.
Wie motivieren Sie sich, wenn es einmal nicht so gut läuft in der Forschung?
„Nicht so gut laufen“ ist ja meistens keine Zeit haben (Verwaltungs- und Organisationsaufgaben sind eben auch zeitintensiv). Dann versuche ich mir ganz bewusst Zeit zu nehmen und auch mal ziellos in meinem Fachgebiet zu lesen (zum Beispiel in Fachzeitschriften) und nachzudenken, sonst geht die Kreativität irgendwann verloren. Das ist sozusagen das Gegenteil davon, sich Texte von der KI zusammenfassen zu lassen… Manchmal schöne Angebote für Texte oder Projekte auch abzusagen, um Prioritäten zu setzen, für die man dann auch die Zeit findet. Allerdings ist das auch ein Luxus, in Phasen der Stellensuche war es durchaus schwierig, Nein zu sagen.
Welche Chancen sehen Sie für Ihre Forschung und Lehre an der Universität Greifswald? Was macht die Universität Greifswald so besonders?
Die Universität Greifswald hat die erste kommunikationswissenschaftliche Professur mit dem Schwerpunkt Kommunikationsethik eingerichtet, diese Professuren sind sonst meist in der Philosophie angesiedelt. Das ist weitsichtig und relevant. Kommunikationsethik verbindet sich hier am Standort mit der allgemeinen Kommunikationswissenschaft, zumal auch der Mediensystemforschung am Lehrstuhl von Prof. Klaus Beck und mit dem Schwerpunkt Organisationskommunikation am Lehrstuhl von Prof. Kerstin Thummes. Auch die Kolleg*innen im Institut arbeiten u.a. im Forschungsfeld Ethik. Wir gehen die Problematik also aus mehreren Perspektiven an.
Die Universität Greifswald ist eine mittelgroße Universität im Zentrum einer kleinen Stadt. Die Wege im ganz wörtlichen Sinne sind kurz. Das macht Kommunikation in einer Organisation einfacher. Der kleinere Standort führt im Vergleich zu anderen Standorten zu kleineren Kursen (man sitzt nicht in überbuchten Kursen zu 45 Personen), man hat direkteren Kontakt zu den Studierenden, mehr Zeit für sie und das hebt nicht nur die Laune, sondern auch die Studierbarkeit der Studiengänge. Es bedeutet auch, eigene Forschung besser in die Studiengänge mit einbringen und die Studierenden zu eigener Forschung anleiten zu können.