Von Katrin Kleedehn
Wo Theorie und Praxis besonders nah beieinanderliegen:
Klinische Pflegewissenschaft
Vor zwei Jahren startete an der Universitätsmedizin Greifswald (UMG) der neue Studiengang Klinische Pflegewissenschaft. Das Besondere an dem Studiengang: Die Absolvent*innen schließen das Studium mit dem Bachelor of Science ab und erhalten darüber hinaus den Berufsabschluss zur*zum Pflegefachfrau*mann. Er ist deutschlandweit zudem der einzige primärqualifizierende Pflege-Studiengang, den man an einer Universität innerhalb von sechs Semestern abschließen kann. Aufgrund der Praxiseinsätze erhalten die Studierenden ein monatliches Auszubildendengehalt.
Die enge Verzahnung von Theorie und Praxis ist daher besonders essenziell. Seit dem Startschuss hat sich am Institut für Pflegewissenschaft und Interprofessionelles Lernen einiges getan. Die erste Kohorte, die im Wintersemester 2021/22 mit dem neuen Studiengang den Anfang machte, kann bereits auf eine spannende und vielseitige Studienzeit zurückblicken. Nun werden allmählich die ersten Bachelorarbeiten in Angriff genommen.
Was lange währt, …
Dass es diesen Studiengang überhaupt gibt, sei jahrelangen und hartnäckigen Bemühungen von einzelnen Personen der Unimedizin zu verdanken, berichtet Peter Hingst. Er ist der Pflegevorstand an der UMG und war maßgeblich an der Gründung des Instituts für Pflegewissenschaft und Interprofessionelles Lernen beteiligt. „Wir waren wenige Menschen, die mit einem langen Atem viele Zweifler überzeugen mussten“, erinnert er sich. Allzu neu sei der Gedanke, die Pflege studierbar zu machen, nicht gewesen. Bereits Anfang der 1990er Jahre – als Hingst selbst noch gar nicht in Greifswald war – beschäftigte er sich mit der Fragestellung, inwiefern das Berufsbildungsgesetz erneuert und Ausbildungsinhalte im Bereich der Pflege verbessert werden können. „Überall, außer in deutschsprachigen Ländern, wird der Pflegeberuf schon lange studiert“, betont er. Hinzu komme, dass es immer mehr junge Menschen gebe, die Abitur machen und im Anschluss daran häufig ein Studium anstatt einer Ausbildung beginnen. Kurz nachdem Hingst nach Greifswald kam, führte die Hochschule Neubrandenburg 1993 den Studiengang Pflege und Gesundheit ein. Inhaltliche Austausche mit der Hochschule fanden zwar statt, „doch man kann sagen, dass ich hier in Greifswald lange als Einzelkämpfer damit beschäftigt war, andere Menschen für meine Ziele zu gewinnen“, erzählt Hingst. Als 2002 dann das Institut für Community Medicine an der UMG gegründet wurde, hatte er plötzlich einen wichtigen Partner an seiner Seite: Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, heute Geschäftsführender Direktor des Instituts. „Auch Professor Hoffmann war der festen Überzeugung: Das Gesundheitswesen wird nicht zurechtkommen, wenn Pflegekräfte nicht anders und höherwertig qualifiziert werden“, berichtet Hingst weiter. Jahr für Jahr haben die beiden auf verschiedenen Ebenen versucht, ihr Thema auf die Agenda zu setzen – innerhalb der Unimedizin bis hin zur Ebene der Landesregierung. Die Intensität der Gespräche mit der Landesregierung habe schließlich zugenommen, als Prof. Dr. Max Baur 2015 Dekan an der UMG wurde. „Er kam von der Universität Bonn, wo man damals ebenso den Studiengang Pflegewissenschaft etablieren wollte“, so Hingst, „und da hatten wir einen erfahrenen und einflussreichen Wegbegleiter an unserer Seite“. Finanzielle Gründe ließen die größten Zweifel aufkommen. Doch die Überzeugungsarbeit und Hartnäckigkeit hatte sich schließlich gelohnt: Die Landesregierung gab 2021 ihre Zustimmung, und zum Wintersemester 2021/22 startet der neue Studiengang Klinische Pflegewissenschaft.
Eine bunte Mischung Studierender
Eine der dreißig Erstis war damals Theresa. Die gebürtige Berlinerin hatte schon immer ein Faible für den Berufsweg im Gesundheitswesen. „Mich interessierten die medizinischen Themen, ich wollte aber möglichst sofort am Patienten arbeiten“, erklärt sie ihre damalige Entscheidung für das Fach, das all ihre Interessen und Wünsche vereinen sollte.
Im Laufe des Studiums eignen sich die Studierenden Grundlagen zu verschiedenen Pflegephänomenen (z. B. Schmerz), aber auch zur empirischen Erforschung von (neuen) Pflegeerkenntnissen an. Dabei finden die erlernten pflegerischen Handlungskompetenzen direkt Anwendung in den Praxiseinsätzen. Deshalb findet Theresa die Pflegemodule besonders bereichernd. „Aber auch die Theorien zu Kommunikation und Konfliktmanagement können direkt praktisch umgesetzt werden“, erzählt sie weiter. Diese enge Verzahnung von Theorie und Praxis zeigt sich auch im Stundenplan. So haben die Studierenden an drei Tagen in der Woche Theorieblöcke und an zwei Tagen Praxis. Je nachdem, in welchem Semester die Studierenden sind, werden die Praxiseinsätze entweder im Klinikum oder im Rahmen von Außeneinsätzen (z. B. im ambulanten Pflegedienst und in Pflegeheimen) absolviert. „Damit wir die gleiche Anzahl an Praxisstunden erreichen wie die Auszubildenden, haben wir unsere Einsätze auch in der vorlesungsfreien Zeit“, so Theresa. Das sei zwar ganz schön knackig, wie sie berichtet, „aber zwei Wochen Ferien haben wir dann trotzdem noch – und diese Pause ist auch wirklich wichtig zum Durchatmen“.
Den Bachelor und den Ausbildungsabschluss innerhalb von sechs Semestern zu schaffen, sei in der Tat sportlich, wie Prof. Dr. Steve Strupeit, Direktor des Instituts für Pflegewissenschaft und Interprofessionelles Lernen, bestätigt. Einige Studierende absolvieren das Studium sogar berufsintegrierend. Diese sind weiterhin auf ihren Stationen tätig und erhalten für die Theorieblöcke dann Freistellungen. Um den Job, das Studium und Privates unter einen Hut zu bringen, reduzieren die Berufstätigen teilweise auch ihre Arbeitsstunden. Bei den Berufserfahrenen komme hinzu, dass diese sich bis zu fünfzig Prozent der Leistungspunkte anerkennen lassen können. „Dadurch, dass unsere Studierenden mit verschiedenen Hintergründen solch eine bunte Mischung darstellen, ist es wichtig, auf jeden und jede individuell einzugehen“, betont Strupeit. Zudem sei die Diversität für den Austausch und das gegenseitige Lernen sehr befruchtend, auch in den Seminaren. Er selbst ist ursprünglich gelernter Gesundheits- und Krankenpfleger. Nach der Ausbildung studierte er Pflegemanagement sowie Pflegewissenschaft und schlug schließlich die wissenschaftliche Laufbahn ein. Im Juni 2022 übernahm er den Lehrstuhl für Pflegewissenschaft. Für ihn sei Greifswald ein ganz besonderer Standort. Denn hier ist Pflegewissenschaft direkt an einer Universität angegliedert. Das bedeute zum einen, dass eine andere Art von Forschung betrieben werden kann. Die Studierenden können direkt in Forschungsprojekte eingebunden werden. Das zeige sich auch in den Bachelorarbeiten, deren Themen ab dem fünften Semester gemeinsam in Gruppen erarbeitet werden. Zum anderen erfolge ein besonderer Transfer durch die Spitzenmedizin der UMG: „Wir haben hier alles aus einer Hand“, fasst Strupeit zusammen.
Für die angehenden Absolvent*innen der Klinischen Pflegewissenschaft gibt es eine Übernahmegarantie an der Unimedizin. Dafür durfte Theresa bereits Vertiefungsrichtungen angeben: „Ich habe mich für den Intensiv- und Notfallbereich entschieden und werde deshalb in meinem dritten Jahr die Praxiseinsätze auf der Intensivstation ableisten“, erzählt sie. Natürlich könne das sehr hart werden, aber es bereite sie gut auf den Berufseinstieg nach dem Studium vor. Mittlerweile habe sie viel Leid und Sorgen bei den Patient*innen erlebt, aber eben auch viel Freude und Dankbarkeit. Das mache ihren Job so besonders. Zweifel an ihrer Entscheidung hatte sie nie. „Natürlich kann ich mich noch gut an meinen allerersten Praxistag erinnern“, berichtet sie. „Er war für mich als Neuling so anstrengend und alles war so neu – da musste ich kurz mal ins Bad gehen, innehalten und durchatmen.“ Das gebe sie nun auch den Erstis mit: Man müsse in den ersten Tagen über seinen eigenen Schatten springen, sich auf die schwierigen Situationen einlassen, Vertrauen zu sich selbst haben und einfach machen. „Und wenn es Probleme gibt, kann man sich immer an die älteren Semester wenden“, betont sie. Und nicht zuletzt gebe es am Institut sehr engagierte Mitarbeitende, die sich für ihre Studierenden einsetzen. Das mache das Institut für Pflegewissenschaft und Interprofessionelles Lernen zu etwas Besonderem: „Dass wir wenige Leute sind, die aufeinander bauen können.“
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