Studium & Lehre

Vernetzt lernen, vernetzt lehren: Bildung als gemeinsamer Prozess

Das Foto zeigt Prof. Dr. Hendrik Lohse-Bossenz. Er trägt einen dunkelgrauen Anzug, hat kurze braune Haare und trägt eine Brille. Er lächelt freundlich in die Kamera.

Prof. Dr. Hendrik Lohse-Bossenz, © Martha Bahls, Universität Greifswald

Fachkräftemangel, Digitalisierung und gesellschaftliche Vielfalt fordern Lehrkräfte täglich heraus. Im Gespräch erklärt Prof. Dr. Hendrik Lohse-Bossenz, warum diese Belastungen Teil von Professionalisierung sind, welche Chancen KI bieten kann und wieso gemeinsames Lernen so wichtig ist.

Herr Lohse-Bossenz, Sie haben ursprünglich Psychologie studiert. Was hat Sie damals an diesem Fach besonders gereizt und wie sind Sie später zur Grundschulpädagogik gekommen?

Die Interdisziplinarität meiner Forschung ist berufsbiographisch tief verankert. Eigentlich wollte ich Chemie studieren, aber habe dann in meinem Zivildienst die klinische Psychologie kennengelernt und war fasziniert davon, wie man durch Gespräche systematisch Menschen in ihrer mentalen Verfassung stärken kann. Außerdem wusste ich rein gar nichts von der psychologischen Wissenschaft und habe mich dort hineinbegeben. Es war eine gute Entscheidung, denn neben der forschungsmethodischen Ausbildung hilft mir noch immer die Perspektive, die Person gegenüber verstehen zu wollen. Danach war es über einen Ausflug in die Sportwissenschaft und die frühkindliche Bildung letzlich die psychologische Lehr-Lern-Forschung, die mich zur Grundschulpädagogik geführt hat. In allen Bereichen habe ich mich immer dafür interessiert, wie man die Settings so gestalten kann, dass die darin agierenden Personen (v. a. Kinder und pädagogische Fachkräfte) sich bestmöglich entwickeln. Die Grundschule ist dabei für mich ein besonderer Bereich, in dem tagtäglich Entwicklungen stattfinden und wir als Wissenschaft eine große Verantwortung dafür haben, das dortige Handeln zu erforschen und Erkenntnisse zu generieren, die genutzt werden können, um eben diese Kontexte zu gestalten.

Nach Ihrem Studium haben Sie an zahlreichen Universitäten, aber auch verschiedenen Instituten wie dem Max-Planck-Institut als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet. Welche Stationen waren für Sie besonders prägend und warum?

Es waren wirklich viele Stationen und jede dieser war wertvoll für meine Entwicklung als Wissenschaftler. Möchte man aus diesen tatsächlich auswählen, so war es meine Zeit als Doktorand an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Mit der tollen Unterstützung meiner Doktormutter Prof. Dr. Mareike Kunter konnte ich den Wissenschaftsbetrieb kennenlernen, viele Fähigkeiten entwickeln und ein Netzwerk aufbauen, von dem ich noch immer profitiere. Als weitere wichtige Station ist die Juniorprofessur an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg zu nennen. Hier hatte ich das erste Mal die alleinige Verantwortung für meine Forschungstätigkeit und habe in einem wunderbaren Team mit sehr vielen Fachdidaktiken ein sehr großes Projekt verantwortet. Hier konnte ich die notwendigen Fähigkeiten zur Teamführung und Arbeit in komplexen Projekten aufbauen.

Einer Ihrer Schwerpunkte ist die Professionalisierung pädagogischer Fachkräfte. Was verstehen Sie darunter und was bedeutet das konkret für die Ausbildung von Grundschullehrer*innen?

Unter Professionalisierung verstehe ich die Entwicklung von pädagogischen Fachkräften IN und IM Beruf. Zu verstehen, dass das Handeln einer Lehrperson nicht einzig auf Intuition beruht und auch niemand als Lehrperson „geboren“ ist, prägt natürlich unsere Perspektive auf die Lehrer*innenbildung. Mit dem wissenschaftlichen Studium und dem anschließenden Vorbereitungsdienst werden notwendige Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften (kurz: professionelle Kompetenz) entwickelt, die ein qualitätsvolles Handeln in der Schule ermöglicht. Gleichzeitig ist mit dem Eintritt ins Berufsleben der Lernprozess der Lehrpersonen nicht abgeschlossen. Unsere Gesellschaft – und damit auch die Grundschule – ist hochgradig dynamisch, sodass die Vorstellung, als „fertige“ Lehrperson aus der Universität bzw. dem Vorbereitungsdienst zu kommen, an der Realität vorbei geht. Somit ist eben auch das kontinuierliche Hinterfragen der Angemessenheit eigenen pädagogischen Handelns Teil der Professionalität von pädagogischen Fachkräften.

Sie befassen sich außerdem mit Belastungen im Lehrerberuf. Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell für Grundschullehrkräfte?

So wie die gesamte Gesellschaft ist auch die Grundschule unmittelbar mit den allgegenwärtigen Krisen und Transformationen konfrontiert. Hierzu gehören u.a. Fachkräftemangel, Pluralität der Gesellschaft oder Social Media und KI. Dass Grundschullehrkräfte hiermit umgehen müssen und dies als Belastung empfinden, ist etwas Normales. Die Frage aus der Forschungsperspektive ist allerdings, welche Ressourcen hierfür zur Verfügung stehen. Dabei zeigt sich, dass Belastungen bei Vorhandensein entsprechender Ressourcen – und hierzu zählen nicht nur materielle, sondern eben auch soziale und persönliche Ressourcen – auch Entwicklungen anstoßen können, die sich mittel- und langfristig als Gewinn herausstellen. Und hier ist genau die Verbindung zur Professionalisierung: Herausforderungen und Belastungen als Lernchance zu begreifen und in beruflichen Kontexten gemeinsam nach Lösungen zu suchen, um das eigene pädagogische Handeln an die sich verändernden Umgebungen anzupassen.

Kommen wir nun zu einem Thema, dass in jedem Lebensbereich immer relevanter wird und so auch in der Grundschule: KI. Sollen oder müssen sich Kinder im Grundschulalter damit wirklich schon beschäftigen? Und wie führen Sie die Lehrkräfte von morgen an das Thema heran?

KI – im Sinne der Übernahme von komplexen Aufgaben durch technische Systeme – ist in unser aller Leben präsent und damit auch in dem von Grundschüler*innen. Auch wenn sie nicht direkt eigene Smartphones benutzen, so gibt es wenige Familien, in denen nicht zumindest Eltern und/oder größere Geschwister tagtäglich mit diversen Formen technischer Endgeräte und darin zumeist auch KI-gestützter Apps interagieren. Die Faszination, die hiervon ausgeht, lässt natürlich auch Grundschulkinder in Ihrem natürlichen Erkundungsinteresse nicht kalt. Die Gefahr für Kinder besteht natürlich darin, dass die Algorithmen hinter verschiedenen Apps nicht zwangsläufig das kindliche Wohlbefinden im Auge haben, sondern Engagement und kommerzielle Interessen. Daher ist es an den erwachsenen Personen im Umfeld der Kinder – und dazu gehören auch die Lehrkräfte – einen Umgang mit Medien und KI für Kinder so zu gestalten, dass Kinder dies nicht als Begrenzung oder gar Machtausübung erleben, sondern ein Verständnis davon entwickeln, wie technische System unser Leben beeinflussen, aber auch wie wir einen Einfluss auf Technik haben.

Eine ganz andere positivere Seite von aktuellen großen Sprachmodellen ist das große Potential, als Unterstützung für Lehrpersonen zu agieren – und dieses Potential sehen auch schon unsere Studierenden in höheren Fachsemestern z. B. für die Unterrichtsplanung: Lerntexte zum gleichen Thema in unterschiedlichen sprachlichen Niveaus, ähnlich schwierige Texte zu unterschiedlichen Inhalten, Lückentexte, Quizfragen zu Texten und vieles mehr.

Unsere Aufgabe im Kontext der Lehrkräftebildung besteht darin, bei zukünftigen Lehrkräften ein solides Wissen zur reflektierten Nutzung von KI aufzubauen – die sogenannte AI Literacy. Hierzu zählen neben einigem grundlegenden Wissen zu Funktionsweise auch die mit der KI-Nutzung verbundenen Risiken, z. B. Halluzinationen, Biases und Kompetenzverlust. Sich hiermit auseinanderzusetzen und dabei auch den aktuellen – zugegebenermaßen schnell wachsenden – Erkenntnisstand einzubeziehen, ist unser Beitrag, damit auch Grundschüler*innen von den Möglichkeiten profitieren und gleichzeitig vor den Risiken geschützt werden.

Ihnen ist ein großes Miteinander wichtig. Sie wollen ein nachhaltiges Netzwerk fürs Leben unter Studierenden aufbauen. Erläutern Sie es bitte näher.

Gemeinschaft und Kooperation prägten meinen eigenen Werdegang und kennzeichnen meine Perspektive auf Forschung und Lehre. Ich erachte den Aufbau von Netzwerken zentral für angehende Lehrkräfte, um sich kontinuierlich weiterentwickeln zu können. Vor allem durch den Austausch mit Kolleg*innen innerhalb und außerhalb der eigenen Schule kann Unterrichts- und Schulentwicklung erfolgen. Weiterhin – und das ist mir besonders wichtig – sind wir als Universität auch ein möglicher Knoten in diesem Netzwerk. Unsere Kompetenz liegt in der Aufarbeitung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu zentralen Herausforderungen. Daher arbeiten wir in der Lehre viel mit kooperativen Arbeitsformen, führen Vernetzungsveranstaltungen mit allen Semestern und Dozierenden durch und werden in den kommenden Monaten auch verstärkt eine Social-Media-Präsenz voranbringen. Hierdurch möchten wir zukünftige Studierende interessieren, aktuelle Studierende vernetzen und ehemalige Studierende weiterhin begleiten.

Angenommen, Sie könnten Ihren zukünftigen Studierenden einen „Werkzeugkoffer“ für Studium und Beruf packen: Welche drei Dinge dürften auf keinen Fall fehlen?

Ich vermeide gerne Begriffe, wie „Werkzeugkoffer“ oder „Rezept“, da diese die Möglichkeit einfacher Lösungen implizieren. Daher würde ich es so formulieren, dass es aus meiner Sicht ein paar Dinge gibt, die erfolgreiches lebenslanges Lernen – im Studium und im Beruf – wahrscheinlicher machen: 1. Bereitschaft, Zeit in den eigenen Lernprozess zu investieren, denn Professionalisierung passiert nicht nebenbei. 2. Frustrationstoleranz, denn selten sind die einfachen Lösungen die Besten und viele Ideen und Versuche enden in einer Sackgasse. 3. Offenheit für sich entwickelnde Rahmenbedingungen, denn wir leben in einer hochgradig dynamischen Welt und die Rahmenbedingungen heute werden höchstwahrscheinlich in 10 Jahren komplett andere sein. Dies zu akzeptieren und sich anzupassen, kann die Grundlage für berufliches Wohlbefinden sein.

Zur Person

Von 2003 bis 2009 absolvierte Prof. Dr. Hendrik Lohse-Bossenz ein Psychologiestudium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit Schwerpunkt Arbeits-, Ingenieur- und Organisationspsychologie und promovierte im Jahr 2013 an der Goethe-Universität Frankfurt/Main im Fachbereich Psychologie. Nach diversen Stationen als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Berater und Professor an verschiedenen Universitäten und Instituten ist Prof. Dr. Lohse-Bossenz seit dem September 2022 als Dozent an der Universität Greifswald tätig. Nachdem er die Professur für Allgemeine Grundschulpädagogik bis Sommer 2025 vertretungsweise innehatte, wurde er nun zum 01. Oktober 2025 auf die Stelle berufen.

Interview: Wiebke Pförter

28.10.2025

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